Erzengel Michael läßt die Griese Gegend entstehen und der Teufel die Rittergüter
Die Erzählungen von der Entstehung der Griesen Gegend beginnen mit der Legende. Schon Fritz Reuter weiß in seinem Werk „Urgeschicht von Meckelnborg“ zu berichten, daß der Erzengel Michael auf Befehl des Herrgotts das Lübtheener Amt und Grabow und Dömitz geschaffen habe.
Er und seine beiden Engelkollegen, die in den übrigen Teilen Mecklenburgs wirkten, „muddelten wat taurecht un nehmen nich naug Lehm mank den Sand“. Als nun die Engel am sechsten Schöpfungstage müde geworden waren und der Herr von ihrer Arbeit gar nicht erfreut war, trat der Teufel unter die himmlischen Heerscharen und wollte wenigstens seinen Anteil an der Verteilung der Menschen in der Gegend haben. Der Herr konnte ihn schlecht abweisen, denn sein großer Gegenspieler hatte inzwischen seine Hölle in der Umgebung von Quast und Ramm angelegt und damit als Großgrundbesitzer auch ein Wort mitzureden.Es wurde ihm aber auferlegt, das Land gerecht und gleichmäßig zu verteilen und allen etwas von Wiesen und Wäldern, von Lehmböden und Sand zu geben. Der Teufel zog nun zu den Rittern und Bauern, die auf die Landverteilung warteten. Die Bauern mochte er nicht leiden, sie waren fleißig und arbeitsam und führten ein ordentliches und sittsames Leben. Bei ihnen konnte er nichts verdienen. Aber die Ritter setzten sich über das Recht hinweg, raubten, tranken und fluchten und quälten die Bauern, wie er es nicht besser wünschen konnte. So ließ er die Bauern stehen, lud die Ritter auf einen Wagen, vor den er seine Großmutter spannte, und zog mit ihnen von einem Krug zum andern. Endlich, als alle genug getrunken hatten, torkelten sie durch die Gegend, und immer, wenn er guten Boden fand, schüttete der Teufel einen Ritter vom Wagen, damit er sich hier ansiedele. So entstanden die Rittergüter Garlitz, Quassel, Gößlow, Redefin, Bandekow, Jessenitz und Volzrade. Die Bauern aber zogen traurig ab und mußten mit den mageren Sandböden fürlieb nehmen.
So erzählt die Sage, und sie gibt, wie immer, eine volkstümliche Erklärung von der Entstehung und Besiedlung der Griesen Gegend. Die geologische Struktur der Landschaft zeigt freilich ein anderes Bild. Nicht immer deckte der bleiche Flugsand der Dünen den Boden. Eine breite Lehmschicht liegt unter dem Sande, und es ist sehr wohl möglich, daß einmal an der Stelle der heutigen Tannendörfer blühende Siedlungen gelegen haben. Die Geschichte bestätigt diese Annahme. Noch 1596 heißt es im Kirchenvisitationsprotokoll, es habe in Ramm ein großes Bauerndorf von 14 Hufen Landes mit eigener Kapelle gestanden, und es sei dort alljährlich am Maria-Magdalenen-Tag (22. Juli) ein Jahrmarkt abgehalten worden. Daran schließt sich im selben Bericht die lakonische Klage: „Es ist aber alles mit Sande verwehet.“ Damals, im 16. Jahrhundert, deckte bereits der Sand die Gegend, und jene Nachricht ist nur eine Erinnerung an alte, bessere Zeiten. Kein Wunder, wenn die Sage sich einschaltet und von einstiger Herrlichkeit und Größe berichtet, als die Menschen noch im Wohlstand lebten. In ihrem Streben, die Vergangenheit zu verklären, schießt sie weit übers Ziel hinaus, wenn sie von großen Städten spricht, die einmal in der heutigen Heidegegend gelegen und deren Bewohner einen blühenden Handel auf dem Elbstrom getrieben haben sollen. Die Namen der Städte Ramm und Päul werden überliefert, und von einer dritten Stadt ist die Rede, die in der Gegend von Laupin gelegen haben soll, deren Name aber nicht bekannt ist. Immer wieder wird von der „Stadt Ramm“ erzählt, sie ist der kulturelle Mittelpunkt der Griesen Gegend. Die Sagen, die sich um Ramm ranken, sind so altertümlich und großartig, daß sie die Begeisterung unseres Altmeisters Wossidlo erregten und ihn zu dem Urteil veranlaßten: „Es gibt neben Rethra keinen Ort in Mecklenburg, dessen Sagen so ganz vom Abglanz heiliger Zeiten übergoldet sind wie die Kirchstelle Ramm und ihre Umgebung, der Mittelpunkt der Welt nach der Volkssage.
aus: „ Sagen und volkskundliche Überlieferungen aus dem Kreis Hagenow“, Hans Vick