Die Rammer Glocken wollen ans Licht
Zu gewissen Zeiten hörte man tief unter der Erde an der Rammer Kirchstelle ein Glockengeläut, das in wehmütigen Klagetönen an die Oberfläche drang. Das waren die Rammer Kirchenglocken, die wieder ans Licht wollten. Die Leute aus Jabel hörten sie klingen und konnten den Ton nicht vergessen.
Das war kein Wunder, denn die Glocken waren aus reinem Gold, und ihr Geläute galt als das schönste in ganz Mecklenburg. Da beschlossen die Jabeler, die Glocken auszugraben und in ihre Kirche zu hängen. Aber der Schulze und die Großbauern hatten ausgemacht, sie sollten nur bei ihren Familienfesten erklingen, damit sie vor den armen Leuten etwas voraus hätten.
In einer Johannisnacht gingen sie an die Arbeit. Mit großer Mühe wurde der Kirchturm aus dem Sande freigelegt, und die Glocken wurden glücklich herausgeholt. Sie wurden nach Jabel gefahren und dort aufgehängt, aber kaum war das geschehen, so waren sie verschwunden, und das Läuten an der Rammer Kirchstelle begann wieder wie vorher. Abermals gruben die Jabeler sie aus, und wie sie auf dem Wagen lagen, berieten sie, ob es nicht ein Mittel gäbe, ihnen die Rückkehr abzuschneiden. Da trat ein rothaariges Weib herzu und sagte: „Alle Schätze, die in der Erde liegen, gehören dem Teufel, darum müßt ihr sie in seinem Namen nach Hause fahren.“ „Nun wohlan! Vorwärts in des Teufels Namen!“ rief der Fuhrmann und schlug auf die Pferde ein. Da waren Weib und Glocken verschwunden.
Zum drittenmal grub man die Glocken aus, und diesmal wurden vier schwarze Ochsen vor den Wagen gespannt, weil man mit den Pferden kein Glück gehabt hatte. Diesmal ließ sich das Gefährt nicht von der Stelle bewegen, soviel Ochsen auch davorgespannt wurden. Da kam ein alter Mann des Weges und sagte: „Ihr müßt sprechen:
All togliek –
För Arm un Riek!
Dann sollen sie euch gehören.“ Das geschah, und nun rollte der Wagen wie spielend dahin. Die Glocken sollen noch heute in der Jabeler Kirche hängen, und lange war das Wappen der Stadt Ramm darauf zu sehen.
Vom Sande verweht – das war das Schicksal der großen Stadt Ramm. Aber auch die beiden übrigen Städte der Jabeler Heide sind untergegangen, zuerst und schon vor Ramm, jene, die in der Gegend des heutigen Laupin lag und deren Namen wir nicht kennen. Sie soll von einer Wasserflut hinweggerafft worden sein. Dann folgte der Untergang von Päul, und hier war es ein Riese, der Sandmassen in Bewegung setzte.
aus: Sagen und Volkskundliche Überlieferungen aus dem Kreis Hagenow, Hans Vick