Eine Hinrichtung auf dem Koppenberg bei Rosien am 5.9.1742
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Die Uhr war fünf. Die engen Straßen von Neuhaus füllten sich mit Menschen. Alles drängte zum Schloß. Aus der schweren Hintertür kam der Pastor Vogelius von Neuhaus, gefolgt von den Knechten des Scharfrichters, Jürgen und Christian, die in der Mitte zwischen sich die Brandstifterin Maria Dorothea Ludewig führten.
Mit aufgelöstem Haar ging das bedauernswerte Mädchen. Ihre Hände waren gefesselt. Ihnen folgte der Nachrichter Flegering in rotem Gewande, das lange Schwert im Gürtel. So ging es nach Rosien an den Koppenberg.
Alles war voller Leute. Aus den meisten Gesichtern sprach Entsetzen. Sehr still war die Inquisition - die durch peinliche Untersuchung Verurteilte - bleich im Gesicht infolge der Kerkerhaft, zeigte ihr Körper keine Verunstaltung durch die Folter. Sie hatte ihre Freveltat freiwillig eingestanden und sich die Qualen der Folter erspart und sich in ihr Schicksal ergeben. Der Pastor schritt voraus mit heiligem Ernst in den Zügen. Ebenso still folgte der Henker in seinem roten Gewande, stur geradeaus blickend. Das Volk betrachtete ihn mit ziemlichem Entsetzen. Bloß vor der Abbiegung der Landstraße dem Koppenberg zu, da fielen ein paar Worte in Flegerings Ohr: „Sieh mal, Tönnies, hat der aber gealtert in den letzten Jahren!” Hannis Martens sprachs zu Tönnies Lühr, beide (unleserlich). „Ihn hat die letzte Hexenverbrennung verzehrt,” kam murmelnd die Antwort. Flegering wandte den Kopf leise bei Seite, als wenn er mehr hören wollte, aber schon stierte er wieder geradeaus. Nur sein Gesicht war um einen Schein bleicher geworden.
Kahl lag der breite Koppenberg am Wege. An seinem Fuße wuchsen ein paar alte, wruckige Eichen. Im Hintergrund waren schon die Gehöfte von Rosien erkennbar. Rechts lag die Scharfrichterei. Der Berg war durch einige Schleete abgesperrt.
Der Pastor, die Henkersknechte mit der Verurteilten und der Nachrichter durchschritten die Absperrung und nahmen auf dem Hügel Aufstellung. Lautlos drängten die vielen Zuschauer gegen die Reke.
„Maria Dorothea Ludewig”, wandte sich der Pastor der armen Sünderin zu, „Du hast deine schwere Sünde bekannt und bereut, und ich habe dir die Gnade des barmherzigen Gottes verkündet. Stärke dich zu einem letzten Gebet!” Jürgen löste dem Mädchen die Handfesseln. Es kniete nieder, faltete die Hände und murmelte einige Worte. Dann erhob sie sich. Der Pastor zog sein Käppi. Alle taten dasselbe. Dann sprach er laut und deutlich das Vaterunser. Leises Weinen ward aus der Zuschauermenge vernehmbar. „Anna!” „Schnell, die Sonne will aufgehen!” drängte der Büttel. „So empfange denn zur Sühne die verdiente irdische Strafe und gehe ein in die ewige Seligkeit!”
Jürgen, der Knecht, legte die Schlinge wieder um die Handgelenke der Dirn. Christian entblößte ihr Hals und Schulter. Dann kniete sie nieder mit gesenktem Haupte. Christian hielt die langen, losen Haarsträhnen vorweg über den Kopf. Der Nacken war frei. Flegering zog das Richtschwert, erfaßte den Griff mit beiden Händen und hob es auf zum Schlag. Alles hielt den Atem an. Aber er setzte wieder ab und wischte sich die Augen. Fragend sahen ihn die Knechte an. Da raffte er sich zusammen - blitzend fuhr die blanke Waffe durch die Luft - ein Schlag. Grauenvoll schrie die Sünderin auf. Sie fiel auf die Seite. Der Büttel hatte in die Schulter geschlagen. Rot quoll das Blut hervor. Grausig klangen die Wehschreie der Verwundeten durch den stillen Morgen.
„Was macht ihr bloß?” entfuhr es dem Pastor. „Menschenschinder!” erscholl es aus der Menge. Frauen schrien, Mädchen schluchzten. Der kleine, überaus neugierige Schneider Michel fiel vor Schreck aus seiner Eiche. Trien Tiedgen aus Suckau und Margret Pangrien aus Neuhaus fielen in Ohnmacht. Zum zweitenmal erhob Flegering jetzt das Richtschwert und schlug zu. Da fiel der Kopf vom Rumpf, und ein roter Blutstrahl spritzte in den Sand.
Alle Zuschauer wandten sich zum Gehen. Das Entsetzen stand in ihren Gesichtern. Der Scharfrichter gab den Knechten leise ... (Schluß fehlt).
Textsammlung Kantor Burmeister, Alt Jabel