Die letzte Post

1846 war die Berlin-Hamburger Eisenbahnstrecke fertig und wurde in Betrieb genommen. Damit hatte es mit der gemütlichen Postfahrerei zwischen diesen beiden größten Städten im deutschen Reiche ein Ende. Zum letzten Mal kam die Postkutsche von Hamburg in Lübtheen angerumpelt. Personal und Pferde wurden zum letzten Mal ausgewechselt. Denn dies sollte die letzte Fahrt sein.

Das Posthorn schien bei der Ankunft nicht so hell zu klingen wie sonst. Eine ganze Anzahl der Ortsbewohner hatte sich vor dem Posthause eingefunden. Der Postillon übergab mit ernstem Gesicht die Post dem Postmeister, winkte den Umstehenden zu und führte die Pferde in den Stall. Nur zwei Reisende hatten die letzte Reise im Postwagen von Hamburg bis Lübtheen gemacht. Sie plauderten mit den Lübtheenern über die letzte Post und was es sonst an Neuigkeiten gab. Unterdessen wurden die frischen Pferde vorgespannt. Der Postmeister verschloß die Postsachen im Abteil des Wagens. Passagiere zur Fahrt nach Lenzen hatten sich nicht eingestellt. Schon wollte der Postillon den Kutschbock besteigen. „Die letzte Post! Gleich wird sie abfahren! Heute zum letzten Mal! Wir werden die alte Postkutsche nie wiedersehen! Schade ist es doch! Wer weiß ob uns die Eisenbahn so gut gefallen wird, wenn es auch schneller und bequemer geht!“ So hörte man die Menge rufen. Da rief plötzlich jemand: „Wir können unseren alten Postillon, mit dem wir in so vielen Jahren oft gefahren sind, doch nicht so scheiden sehen! Einen Abschiedstrunk! Einen Abschiedstrunk für unseren Wilhelm Pegel! Alle stimmten zu. Einer hatte schon den Hut gezogen, warf ein Geldstück hinein und hielt es seinem Nachbarn hin. Bald klimperten von allen Seiten die Schillinge und Dreilinge hinein. Da drängte sich der dicke Gastwirt Hamann durch die Leute. „Nicht! Nicht! Das tut nicht nötig, den Abschiedstrunk schenke ich!“ Und damit hielt er eine Flasche Rotspon in die Höhe, zog ein dickes Weinglas aus der Tasche und goß ein. „Da, Wilhelm,“ sagte er zum Postillon, „zum Abschied trinke gehörig. Du hast es ehrlich an uns verdient!“ „Zum Abschied!“ antwortete Wilhelm, winkte mit dem Glas der ganzen Runde zu und trank einen gehörigen Zug. Dann sah er sinnend in das Glas. Ihm wurde weich ums Herz und ein paar Tropfen rannen ihm über die in langen Jahren von Sonne, Wind und Wetter gebräunten Wangen. Er gedachte des Tages, an dem er einst als junger Bursche vor vielen Jahren zum ersten mal die blaurote mecklenburgische Postillonsuniform getragen, das Posthorn geblasen und den gelben Postwagen zwischen Lenzen und Boizenburg gefahren hatte. Gute und schwere Zeiten mußte er mit durchmachen und Tag und Nacht bei Wettergraus oder Sonnenschein tat er unentwegt seinen Dienst. In den bösen Zeitläufen der Franzosenjahre konnte er zweimal mit Mühe und Not das ihm anvertraute Postgut vor französischen Plünderungen retten. Schon Vater und Großvater waren als Postknechte gewesen. Nun war er der letzte. Er hob den Kopf und sah von einem zum anderen. Der Krugwirt füllte das Glas wieder. Wilhelm Pegel, der alte Postfahrer, schwenkte das Glas und rief: „Sollt alle leben, alle miteinander! Wir kennen uns lange Jahre. Ich habe immer getan, was ich konnte. Nun mache ich die letzte Fahrt durch Sand und Tannen auf dem alten Wagen und mit meinen lieben Pferden. Bin ein alter Kerl geworden, doch schwer wird es mir doch, den blauroten Rock auszuziehen und nicht mehr als Postillon durch das Land zu blasen.
Aber ich merke, daß ich allmählich alt und steif werde wie meine wackeren Pferde dort. Also, Schluß mit allem, zum letzten Mal! Los! Auf dein Wohl, Krugwirt! Prost! Prost!“ Er trank in langem Zuge. Dann erkletterte er den Bock. Alle Versammelten umringten ihn zum Abschied und drückten ihn immer wieder die Hand. Darauf schwang Wilhelm Pegel in gewohnter Weise die Peitsche, die Pferde zogen an, und als die alte Kutsche losrumpelte, hatte er das Horn bereit, und wehmütig und getragen erklang es in den dämmernden Abend hinein: „Muß ich denn, muß ich denn zum Städtelein hinaus!“
Das war die letzte preußische Post zwischen Hamburg und Berlin.

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